Franz Müntefering blickt in die Zukunft

Bad Münder. In Berlin hat er ausgemistet. Sein Büro geräumt, seine politische Laufbahn nach 38 Jahren im Bundestag beendet. Für den Wahlkampf krempelt Franz Müntefering dennoch die Ärmel hoch, etwa gestern Abend für Gabriele Lösekrug- Möller und Tjark Bartels. Die eine will erneut in den Bundestag einziehen, der andere Landrat von Hameln-Pyrmont werden. Müntefering hat seine Unterstützung zugesagt, weil auch in Bad Münder und im Landkreis ein Problem offensichtlich ist, das dem einstigen Vizekanzler und SPD-Vorsitzendem ganz besonders am Herzen liegt: die Frage des demografischen Wandels und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Zusammenhalt der Gesellschaft. „Weniger-Bunter-Älter“ hat die SPD ihre Veranstaltung in der brütend heißen Rohmelgastststätte daher überschrieben, und die Organisatoren freuen sich über ein sehr volles Haus. Das mag am Bekanntheitsgrad des besonderen 73-jährigen Gastes liegen („Münte ist einfach Kult. Den muss man erlebt haben“, jubelt eine Besucherin), vielleicht aber auch an der Brisanz des Themas. Die heimische SPD will die Veranstaltung mit dem prominenten Zugpferd als Auftakt verstanden wissen, den demografischen Wandel in der Region noch intensiver als bisher aufs Korn zu nehmen. Bei Müntefering rennt sie damit offene Türen ein. Er sagt Sätze wie „Bis zum Jahr 2050 wird Deutschland 15 Prozent weniger Einwohner haben – und das auch nur, wenn jährlich 100 000 Menschen netto zuwandern.“ Er malt kein Horrorszenario vom Generationenkampf, warnt aber eindringlich davor, die Folgen der Überalterung der deutschen Gesellschaft zu ignorieren. Und er liefert Beispiele: „In Thüringen ist die Zahl am deutlichsten: Zwei zu eins. Einer kommt aus der Schule, zwei werden Rentner. Die Frage ist da wie überall: Wie werden die Zahlen in zehn Jahren aussehen?“, fragt er. Drei Linien prägen seien Vortrag: Die Verringerung der Bevölkerung, der drastische Anstieg des Durchschnittsalters und die immer größere Mobilität. Die Bevölkerungsentwicklung untermauert er mit Zahlen wie denen der Geburtenentwicklung: Von den im Jahr1970 geborenen Frauen sei etwa jede dritte Frau kinderlos. Eine häufig genannte Ursache dafür sei die fehlende Sicherheit für Paare: Bei befristeten Verträgen und Minilöhnen sei es nicht einfach, Verantwortung für eine Familie zu übernehmen. Für Müntefering ist die Verbesserung der Situation junger Frauen ein Schlüssel: Werden sie in die Lage versetzt, Kinderwunsch und berufliches Fortkommen unter einen Hut zu bekommen, sei viel gewonnen. Auch Fachkräftemangel werde ein zunehmendes Problem für die Betriebe. Die Vorteile des „sehr positiven“ dualen Ausbildungssystems will Müntefering stärker beworben wissen. Er rechnet vor, dass im Jahr 2050 die Lebenserwartung bei durchschnittlich 89 Jahren liegen wird. „Die Frage ist: Was machen die zwischen 60 oder 65 und 89? Von denen, die heute 80 sind, brauchen nur 20 Prozent eine Pflege oder Betreuung. “Er forderte daher, die Potenziale des Alters besser zu nutzen“. „Solange du klar im Kopf bist, bist du mitverantwortlich für das, was passiert“, sagt er. Und er vermittelt unter dem Beifall seiner Zuhörer eine positive Grundstimmung: „Wir können die Dinge beeinflussen. Doch dafür müssen wir uns rechtzeitig Gedanken machen.“

NDZ: Donnerstag, 8. August 2013 VON JENS RATHMANN

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